Ein Jahrhundert Geschichte aus erster Hand

Am Mittwoch, 08. Januar 2025 besuchte Wendelgard von Staden als Zeitzeugin für die Zeit des Nationalsozialismus und des Holocausts die Klassenstufe 10 des Gymnasiums Rutesheim. Frau von Staden wurde als Wendelgard von Neurath am 07. Juni 1925 vor also beinahe einhundert Jahren in Heidelberg geboren. Im selben Jahr ihrer Geburt im Februar wurde die NSDAP gegründet, der erste Band von Hitlers „Mein Kampf“ veröffentlicht und Paul von Hindenburg wurde Reichspräsident. Frau von Staden berichtete anschaulich, wie im Jahr 1944 das Hofgut ihrer Eltern in Kleinglattbach von der SS enteignet wurde, um dort das Konzentrationslager Wiesengrund einzurichten. Die Häftlinge, die dort untergebracht waren, waren „arbeitsfähige“ Männer, die aus dem Konzentrationslager Auschwitz deportiert worden waren. Sie mussten die letzte körperliche Kraft, die ihnen noch verblieben war, zur Produktion von Flugzeugteilen der Firma Messerschmidt in einem Steinbruch in Vaihingen/Enz einsetzen. Über 2000 Menschen kostete dieser unmenschliche Einsatz ihr Leben. Die Familie, vor allem Frau von Staden und ihre Mutter, erlebte die Grausamkeiten gegenüber den zur Arbeit auf dem Hof abgeordneten Häftlingen und setzte sich über mehrere Monate hinweg für bessere Verpflegung und Behandlung der Häftlinge auf dem Hof ein.

Man konnte eine Stecknadel in der Aula gefüllt mit über hundert Schülerinnen und Schülern fallen hören, als Frau von Staden eindrücklich und mit großer Spannung für die Jugendlichen auch von ihrem Leben im besetzten Deutschland berichtete. Sie zeigte auf, wie sie sich nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wie von einer Leine gelöst fühlte, die sie die ganze Zeit gefesselt hatte. Wie sie als Konsequenz aus der Zeit des Nationalsozialismus das Gefühl der Kollektivschuld der Deutschen empfand und alles tat, um das Gegenteil zu beweisen. Und sie berichtete auch von den Chancen im Nachkriegsdeutschland, die sich für sie mit ersten Möglichkeiten der Bildung an der Universität und dem Besuch anderer Länder eröffneten. Frau von Staden zeigte sich in diesem spannenden Vortrag den Schülerinnen und Schülern als eine Frau, die viele Dinge zum ersten Mal machte: Nach ihrem Abitur im Jahr 1943 begann sie als eine der ersten Frauen ein landwirtschaftliches Studium an der Universität Hohenheim und später an der Universität Tübingen. Als eine der ersten Frauen kam sie nach dem Zweiten Weltkrieg nach Paris und Amerika, um Politikwissenschaften zu studieren. Sie war als politische Attachée die erste in den 1950er Jahren, die Polen in diplomatischer Funktion besuchte. Und als eine der ersten Frauen schlug sie eine diplomatische Laufbahn ein und wurde zum Beispiel Vize-Konsulin in Bern.

Wir bedanken uns herzlich bei Frau von Staden dafür, dass sie uns an ihren „beinahe“ einhundert Jahren erlebter Geschichte hat teilhaben lassen und Gedanken über Diktatur, Demokratie und ein erfülltes Leben mit uns teilte.

Dr Stefanie Neidhardt
Fachvorsitzende Geschichte

Wendelgard von Staden (mit Schulleiter Jürgen Schwarz und der Fachvorsitzenden Geschichte, Dr. Stefanie Neidhardt) berichtete am Gymnasium Rutesheim aus ihrem bewegten Leben
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